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iPad statt Lehrbuch

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Der US-Konzern Apple hat unvorstellbare 97 Milliarden Dollar in seiner Kasse. Nun setzt er an, den weltweiten Bildungsmarkt zu erobern. Laut Apple sind bereits 1,5 Millionen Stück seines Tabletcomputers iPad an Schulen oder Hochschulen im Einsatz. Seit Anfang des Jahres bietet das Unternehmen auch eine kostenlose Software an, mit der sich digitale, interaktive Schulbücher auf dem iPad erstellen lassen.



Fabian, 17 Jahre, springt auf den Kasten. Dann macht er einen Satz runter auf die Weichbodenmatte – und rollt sich über die rechte Schulter ab. „Parkour“ heißt die Sportart. Springen, Abrollen, Balancieren gehören zu den Grundübungen. Wie diese auszusehen haben, erarbeiten sich die Schülerinnen und Schüler im Sportunterricht selbst. Mit Hilfe des iPad, eines Tabletcomputers von Apple, auf dem Lehrvideos zu sehen sind. Jeweils vier oder fünf Schüler nutzen einen der silbern-schwarzen Flachcomputer. „Ich lass’ die heute allein machen“, lacht Judith Albers, die 32-jährige Sport-Referendarin. Sie schaut lediglich zu, gibt hin und wieder Tipps.

Unterricht per Tablet: Der gymnasiale Zweig des Friedrich-List-Berufskollegs im ostwestfälischen Herford praktiziert das digitale Lernen seit Februar dieses Jahres. 30 iPads hat die Schule angeschafft. Eingesetzt werden sie auch im Fach Spanisch, in der Jahrgangsstufe 11. „Palabras nuevas? – Welche Wörter sind neu?“, fragt Lehrer Andrés Lojo Menk, 39 Jahre.

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Die Schüler nutzen das iPad, um Vokabeln zu notieren. Das Gerät speichert zudem Lehrmaterialien, Lexika und Wörterbücher. Mit dem Tablet lassen sich auch Video- und Tonaufnahmen machen und abspielen. Über eine WLAN-Verbindung besteht Zugang zum Internet. Die Jugendlichen wissen das zu schätzen. „Wenn man eine Info braucht, kann man im Netz nachschauen“, sagt Gian-Luca, 17 Jahre alt. „Vokabeln nachzuschlagen geht viel schneller als mit dem normalen Wörterbuch“, ergänzt Leonie. Ein Vorteil sei zudem, dass die Schüler weniger Bücher schleppen müssten, erklärt Lojo Menk.

„Werkzeug zum Selberlernen“?

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Auch in Köln, Braunschweig und Nürnberg sammeln Schulen Erfahrungen mit dem Flachcomputer. Ebenso in Hatten bei Oldenburg oder im Eifelstädtchen Prüm. Gymnasium, Berufsbildende Schule, Gesamtschule, Hauptschule – (fast) alle Schulformen sind vertreten. In Karlsruhe testet gar eine Grundschule die digitalen Lehrmittel. „Ein Werkzeug zum Selberlernen“, lobt Ute Krumsiek-Flottmann, Schulleiterin des Herforder Friedrich-List-Berufskollegs. Die 60-Jährige verlangt jedoch, auch kritisch mit den Tablets umzugehen. „Wir wollen nicht Handlanger von Apple sein.“ 

Eine Haltung, für die es gute Gründe gibt. Denn Apple, dem Marktführer bei Tablets, geht es nicht nur darum, möglichst viele iPads in den Markt zu drücken, zum Stückpreis ab rund 400 Euro. Der US-Konzern zielt auf den weltweiten Markt für Lehrbücher und Unterrichtsmaterialien. Ein Bereich, in dem der Computerriese aus dem kalifornischen Cupertino bereits viel zu bieten hat: digitale Lehrbücher renommierter Verlage, zu kaufen im unternehmenseigenen iBooks Store. Apple baut ferner eine riesige Datenbank auf, mit digitalen Filmen von Vorlesungen und Seminaren, bereitgestellt von Universitäten aus vielen Ländern, auch aus Deutschland. Wer diese kostenlos herunterladen will, muss sich zuvor bei iTunes, Apples Shop für Songs und Audiodateien, anmelden. Außerdem im Angebot: zigtausende kommerzieller Apps, also Anwendungen, die nur auf dem iPad oder auf Apples Kulthandy iPhone laufen.

„Wer einmal ein digitales Lehrbuch mit 3-D-Animation auf einem Tablet gesehen hat, wird dieses Medium nicht mehr missen wollen“, versichert Lehrer Lojo Menk. Er gehöre aber nicht zu den „Apple Distinguished Educators“, sagt der Herforder Pädagoge. „Apple Distinguished Edcuators“ (ADE) bilden ein Netzwerk von Lehrkräften und Uni-Angehörigen, die iPads und andere Apple-Computer im Unterricht testen. Außerdem beraten sie ehrenamtlich im Auftrag des US-Konzerns andere Pädagogen, wie sich Apple-Produkte in der Schule einsetzen lassen. „Bundesweit gibt es derzeit 80 ADEs“, erklärt Georg Albrecht, Pressesprecher von Apple Deutschland. 

„Kampf um Marktmacht“

Im vergangenen Januar setzte der Konzern noch eins drauf – und präsentierte iBooks Author. Eine kostenlose Software, mit der sich digitale und interaktive Schulbücher auf dem iPad oder anderen Apple-Computern erstellen lassen.

Die Herforder Sport-Referendarin Judith Albers produziert damit ihre Video-Anleitungen für „Parkour“, Lehrer Andrés Lojo Menk bastelt an interaktivem Spanisch-Unterrichtsmaterial. Solange beide ihre digitalen Lehrwerke im eigenen Unterricht einsetzen, fallen keine Gebühren an. Doch sobald ein Entwickler sein Werk im iBooks-Format kommerziell nutzen will, greift Apple zu: Das digitale Schulbuch darf nur über den iBooks Store vermarktet werden. Der Computerriese kassiert dann 30 Prozent des Verkaufspreises. Und nur Apple entscheidet, ob das digitale Lehrbuch eine Freigabe erhält. „Da gab es noch keine Schwierigkeiten“, erklärt Apple-Pressemann Albrecht.

Torsten Larbig, Lehrer in Frankfurt am Main, warnt jedoch vor Apples Plan, für Lehrmaterialien ein „geschlossenes System“ durchzusetzen. „Ich stelle mir vor, Apple verweigert einem von einem Bundesland freigegebenen Schulbuch die Aufnahme in den iBooks Store“, schreibt er in seinem Internet-Blog. Auch Katrin Aisch, Referendarin in Magdeburg, missfällt, dass der US-Computerriese zunehmend Einfluss auf Unterrichtsinhalte gewinnt. Welche Gefahren im Projekt iPad Education steckten, so Aisch, „kommt auf Grund mangelnder Kompetenz, Gutgläubigkeit oder Befangenheit so gut wie nie zur Sprache“. Sie sieht einen „Kampf um Marktmacht“. 

Und was sagen die Kultusministerien zu Apples Anlauf, den Lehrmittelmarkt aufzumischen? Die Antworten fallen unterschiedlich aus. Das Schulministerium von Sachsen-Anhalt betont, „dass eine Reglementierung/Zulassung des Einsatzes von Lernsoftware im Unterricht durch Dritte nicht akzeptabel ist“. Für die Zulassung von Schulbüchern sei ein Landesinstitut zuständig. In Nordrhein-Westfalen heißt es: „Digitale Lernmittel, die über einen längeren Zeitraum im Unterricht eingesetzt werden, müssen vom Schulministerium zugelassen werden.“ Geht es allerdings um kurzfristigen Einsatz, etwa ein zeitlich befristetes Modellprojekt, dann entscheiden die Lehrkräfte. Die Berliner Senatsverwaltung erklärt: Über den Einsatz digitaler Lehrmittel beschließen die Schulen „im Rahmen ihrer eigenen Verantwortung“.

Ute Krumsiek-Flottmann, die Herforder Schulleiterin, sieht zusätzliche Verantwortung auf die Pädagogen zukommen. Ihre Forderung: „Wir müssen Spieler bleiben, nicht der Ball.“ 

Marianne Demmer, Leiterin des GEW-Vorstandsbereichs Schule, kritisiert den „Werbefeldzug zum Verkauf von iPads“ und warnt vor einem „weiteren Kommerzialisierungsschub im Bildungsbereich“. Wahrscheinlich, so Demmer, sollten die Eltern das auch noch mitfinanzieren. „Zudem binden sich Schulen, die sich für Apple-Hard- und -Software entscheiden, an einen einzigen Wettbewerber und dessen inhaltliche Angebote.“ Damit werde jegliche demokratische Kontrolle der angebotenen Materialien ausgehebelt. Die GEW-Schulexpertin verlangt „neutrale öffentliche Stellen, die Unterrichtsmaterialien begutachten“. Gleichzeitig müssten die Etats für Lehr- und Lernmittel aufgestockt werden, um das Einfallstor für Kommerzinteressen zu schließen.



 

Zeitschrift Erziehung & Wissenschaft - Bundeszeitung der GEW

Artikel vom 4. Mai 2012 Matthias Holland-Letz, freier Journalist

Fotos: FLB

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